In den letzten Tagen haben wir bereits auf verschiedenen Wegen schon ein paar Berichte über Kisan Bapat Baburo Hazare - genannt Anna Hazare - nach Deutschland geschickt. Anna Hazare bestimmt seit einigen Tagen die indischen Medien mit seinem Kampf gegen die Korruption.
Er ist ein politischer Aktivist, der sich in der Tradition Gandhis verortet und mit friedlichen Mitteln gegen Missstände - insbesondere Korruption - in Indien kämpft. Mit einem Hungerstreik hat er vor einiger Zeit die indische Regierung gezwungen ein Gesetz gegen Korruption zu formulieren. Das sogenannte Lokpal Bill. Die Regierung hat auch einen entsprechenden Gesetzesentwurf formuliert, dabei aber Hazare und seinen Einfluss auf die indische Gesellschaft gewaltig unterschätzt. Der erste Entwurf enthielt noch Straffreiheit für hochrangige Politiker, wie den Premierminister (gegen die dummerweise auch noch Korruptionsvorwürfe im Raum stehen) und sah keine institutionalisierte juristische Überprüfung vor. Anna Hazare war das nicht genug und er begann mit einem erneuten Hungerstreik. Daraufhin ließ ihn die Regierung fest nehmen und in ein Gefängnis stecken. Retroperspektiv ein richtig großer Fehler. Das war nämlich der Funke, der Hazares Protest zu einer Bewegung gemacht hat. In Delhi sind tausende vor das Gefängnis geströmt und auch in vielen anderen Städten Indiens gab es Proteste. Schon nach wenigen Stunden sah sich die indische Regierung gezwungen Hazare wieder freizulassen. Der jedoch wollte das Gefängnis nur dann verlassen, wenn ihm die Regierung garantieren würde, dass er 30 Tage lang öffentlich fasten dürfte. Es kam dann zu Verhandlungen im Gefängnis, an deren Ende sich Hazare und die Regierung einigten, dass der ehemalige Häftling freiwillig aus dem Gefängnis gehen würde, wenn er 15 Tage auf dem Ramlila Maidan Park in Delhi fasten dürfte. Paradoxe Situation.
Hazare fastet nun seit 8 Tagen in diesem Park vor zehntausenden von Menschen und verhandelt mit seinem sogenannten Team Anna immer wieder mit den Vertretern des indischen Parlaments über das neue Anti-Korruptions-Gesetz. Dieser Protest ist mittlerweile eine echte Welle geworden. Mehrere indische Fernsehstationen berichten Rund um die Uhr aus dem Ramlila Maidan Park, unzählige Menschen haben in dem Park ihr Lager aufgeschlagen und in der ganzen Stadt sieht man Menschen, die Hazare-Lieder singen, indische Fahnen schwenken oder Hazare-Buttons, -T-Shirts oder Mützen tragen.
Dieser Kampf gegen Korruption findet extrem breite Unterstützung in der Gesellschaft und zwar durch alle Schichten. Die Händler auf dem Main Bazar, Tuktuk-Fahrer, Mönche oder Geschäftsmänner, man sieht wirklich die unterschiedlichsten Personen mit einem Hazare-Fanartikel. Das Team Anna hat den Nerv der Zeit getroffen und die indische Regierung vor große Probleme gestellt. Beenden lässt sich dieser Protest wohl nur, wenn die Bedingungen von Hazare erfüllt werden und ein Anti-Korruptions-Gesetz nach seinem Geschmack vom Parlament veröffentlicht wird.
Heute sind Lisa und ich eher zufällig am Ramlila Maidan Park vorbeigekommen und haben uns sofort entschlossen unsere weitere Tagesplanung über den Haufen zu werfen und uns das Protestgelände einmal näher anzusehen. Der Park und die Straße die zu ihm führt sind abgeriegelt und voller Sympathisanten, Polizisten, Straßenhändler und Fernsehteams. Überall werden Fahnen geschwenkt und Hazare-Merchandising verkauft, Parolen gesungen und Interviews gegeben.
Nachdem wir uns durch die Menge zum Eingang gearbeitet haben wurden wir auf dem Gelände regelrecht empfangen. Keine zehn Meter von der Sicherheitsschleuse wurden wir von Demonstranten umringt. Nachdem geklärt war, dass wir Anna Hazare kennen und natürlich den Kampf gegen jede Form der Korruption unterstützen waren alle Dämme gebrochen. Von uns wurden Fotos und Videos gemacht, wir mussten Fotos und Videos machen, zahllose Hände schütteln und uns noch mehr indische Namen merken. Die Menschentraube wurde zwischenzeitlich so groß, dass ein indischer Fernsehsender begann uns dabei zu filmen, wie uns begeisterte Hazare-Anhänger ihre Gesänge beigebracht haben, uns Hazares Leben erzählten und vollkommen aus dem Häuschen waren, dass auch deutsche Medien darüber berichten. Als die Menschentraube um uns herum dann mehrheitlich beschlossen hat, dass wir unsere Solidarität mit dem Kampf gegen Korruption nun in die offiziellen indischen Fernsehkameras posaunen sollten haben Lisa und ich versucht uns schleunigst aus dem Staub zu machen. So richtig und wichtig ich den Kampf gegen Korruption auch halte, die Mittel und das Ausmaß von Hazares Weg erscheinen mir mittlerweile doch etwas kritisch.
Bei der Lokpal Bill Bewegung kann man meiner Meinung nach die gleiche Kritik anbringen, wie bei den Gegner von Stuttgart 21. Hier handelt es sich um eine außerparlamentarische Opposition in einer funktionierenden Demokratie, die den gewählten Repräsentanten im Parlament vorschreiben will, wie ein bestimmtes Projekt umgesetzt werden soll. Im Gegensatz zu S21 handelt es sich hierbei aber nicht um nen dämlichen Bahnhof, für den sich eigentlich niemand außerhalb der Stadtgrenze von Stuttgart so wirklich interessiert, sondern um ein eigenständiges Gesetz. Das ist die genuine Aufgabe des Parlaments. Hazare und seine Anhänger schreiben dem Parlament nun nicht nur vor, dass es ein Gesetz formulieren muss, sie bestehen auch darauf, dass sie mitentscheiden dürfen, wie dieses Gesetz aussieht. Hazare hat zwar zahlreiche Anhänger hinter sich aber er besitzt im Gegensatz zum Parlament keine demokratische Legitimierung.
Lisa und ich haben in den letzten Tagen auch darüber diskutiert, ob die gewählte Protestform des Hungerstreiks gewaltfrei und friedlich ist. Meiner Meinung nach wendet Hazare mit dem Hungerstreik Gewalt gegenüber dem eigenen Körper an für deren Auswirkung aber dann nicht er, sondern die Regierung verantwortlich gemacht wird. Wenn nämlich kein - in Hazares Augen - vernünftiges Lokpal Bill verabschiedet wird hungert sich Anna Hazare zu Tode. Und wenn das dann passiert, dann brennen in Indien die Straßen und die Regierung wird von der Protestbewegung für den Tod ihres Idols verantwortlich gemacht.
Lisa hat mir gerade gesagt, dass ich jetzt keine politikwissenschaftliche Abhandlung über mehrere Seiten schreiben soll. Es gibt durchaus noch ein paar andere Argumente, die kritisch gegen diesen Protest vorgebracht werden können. Zum Beispiel der überaus aggressive Nationalismus, der Personenkult, die kurze Zeit für das Parlament, die Konzentration der Kritik auf die Regierungspartei und die geforderte Verschränkung der Gewalten.
Grundsätzlich ist es aber fantastisch, dass es in Indien eine überaus aktive Zivilgesellschaft gibt, die sich einbringt, diskutiert und einen Beitrag zum besseren good governance in Indien leisten möchte. Auch kann man am Kampf gegen Korruption wenig einwenden. Das ist hier in Indien nämlich ein ziemliches großes Problem und lähmt die Entwicklung des Landes.
Wir sind jetzt gespannt wann und wie wir die aktuellen Entwicklungen in unserem Friedens- und Konfliktkurs in Pondicherry behandeln und diskutieren werden. Das ist gelebte Geschichte und einer der Gründe, warum es so fantastisch ist Peace and Conflict Studies hier vor Ort zu studieren!
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